Der digitale „Fastencheck“: Ist mein Zocken noch normal?
Wer nächtelang am Bildschirm hängt, weiß selbst, dass da was schiefläuft. Aber ist man deshalb schon süchtig? Immerhin trainiert man beim Gamen auch Reaktionsfähigkeit, Auge-Hand-Koordination und vieles mehr. Oder ist das jetzt Augenwischerei? Psychologen kennen die Merkmale, die ein problematisches Verhalten zur Sucht werden lassen: Kontrollverlust, falsche Prioritäten und das Ignorieren von negativen Folgen. Passend zur Fastenzeit überlegen viele Menschen, die eigene Gaming- und Internetnutzung für einen gewissen Zeitraum zu reduzieren.
‚Digital Detox‘ ist das neue Fastenziel. Schnell gefastet, schnell zurück in alte Muster. Nachhaltiger ist es, eine persönliche Balance zu finden. Von ‚Digital Detox‘ zu ‚Digital Balance‘. Eine App gibt jetzt allen Gamern die Möglichkeit, das eigenes Suchtpotenzial zu checken. Mehr noch: Neben vielen Tipps für eine ausgewogene Nutzung digitaler Angebote gibt es bei problematischem Verhalten auch individuelle psychologische Hilfestellung.
16:8, 4:3, nach Buchinger, nur Obst, nur Gemüse: Fasten ist wieder in. Ein modernes, zeitgemäßes - und vor allem nachhaltiges - Fasten hat nichts mehr zu tun mit strikten Verboten und komplettem Verzicht. Es ist vielmehr eine Chance, alte Gewohnheiten zu überprüfen und durch ein zeitweises „Weniger“ herauszufinden, was uns wirklich wichtig ist und guttut. Denn Weniger ist Mehr. Die anstehende Fastenzeit kann ein Anlass sein, weniger Fleisch und Alkohol zu konsumieren oder - ganz zeitgemäß - auch weniger Zeit am Smartphone zu verbringen. Das führt zu mehr Lebensqualität und bringt verlorene Zeit zurück. Für produktivere Tätigkeiten im Beruf und ein besseres Familienleben.
Gerade unsere digitalen Gewohnheiten sind nämlich alles andere als gesund. Ein Verbund von deutschen Forschenden, Therapeut:innen und Krankenkassen untersucht aktuell im Rahmen der SCAVIS-Studie, ob und inwiefern uns die unzweifelhaft reizvollen Vorteile des Internets dazu verleiten, die Kontrolle über Dauer und Häufigkeit der Nutzung zu verlieren. Das passiert keineswegs nur bei Computerspielen, wenngleich die so genannte ‚Gaming Disorder‘ bislang von der WHO als einzige Form der Online-Sucht anerkannt wurde. Auch soziale Medien, Online-Shoppingangebote und allgegenwärtige Pornografie im Internet können zur Suchtfalle werden.
"Etwa zwei bis fünf Prozent der Bevölkerung in Deutschland haben bereits mit einer Internetnutzungsstörung zu kämpfen. Rund zehn Prozent weisen eine problematische Internetnutzung, also erste Anzeichen einer Störung, auf", weiß Professor Hans-Jürgen Rumpf von der Universität Lübeck.
Er ist wissenschaftlicher Leiter der SCAVIS-Studie, die Internet- und Smartphone-Gewohnheiten von rund 9.000 Freiwilligen über einen längeren Zeitraum und in mehreren Stufen beobachtet. Ebenfalls mit im Boot ist die Universität Ulm. Dort forscht der Psychologe und Social-Media-Experte Professor Christian Montag. Seiner Meinung nach verführt uns vor allem das Geschäftsmodell der Tech-Industrie zu übermäßiger Smartphone-Nutzung.
"Fesselnde Social-Media-Plattformen halten uns mit ihren Design-Elementen wie Like-Buttons länger als nötig am Bildschirm und versprechen zugleich soziale Belohnung. Ein weiterer Trick ist das fehlende natürliche Ende der angebotenen Inhalte durch die Möglichkeit, ewig zu scrollen und weitere Inhalte zu laden."
Und die Gefahr, problematisches Internetnutzungsverhalten bis hin zu einer Sucht zu entwickeln, betrifft nicht nur Jugendliche, sondern auch Erwachsene. Die anstehende Fastenzeit ist ein guter Anlass, sich selbst zu hinterfragen, ob das eigene Online-Verhalten eigentlich noch im grünen Bereich ist. Das lässt sich jetzt sehr leicht, sicher, anonym und kostenfrei feststellen. Denn die SCAVIS-Studie sucht aktuell noch Teilnehmende zwischen 16 und 67 Jahren. Diese bekommen nach der Beantwortung eines Fragebogens in der smart@net-App ein wissenschaftlich fundiertes und individuelles Feedback zu Internetnutzung, Lebenszufriedenheit und der Tendenz zum Sofalizing, also einer Kontaktpflege, die nur noch online stattfindet. Die App gibt Tipps für mehr analoge wie digitale Lebensqualität. Bei problematischem Verhalten bietet sie auch persönliche Beratung bis hin zur Möglichkeit, eine wissenschaftlich begleitet E-Health-Therapie in Anspruch zu nehmen.
Wie bei allen Formen modernen Fastens geht es auch der SCAVIS-Studie nicht um strikte Verbote, sondern um eine neue digitale Balance, die das Leben bereichert. Denn nachhaltige Verhaltensänderung hin zu einer gesunden Balance ist das neue Detox. Für alle, die aktiv in Ausbildung und Berufsleben stehen oder generell am Leben teilhaben wollen, ist das Smartphone ohnehin unverzichtbar.
‚Digital Balance‘ statt ‚Digital Detox‘: Tipps zur gesunden Internetnutzung für alle
Sein eigenes Internetnutzungsverhalten in eine nachhaltige digitale Balance zu bringen - und das nicht nur zur Fastenzeit - ist dem allgemeinen Wohlbefinden zwar mehr als zuträglich, aber wie jede Verhaltensänderung nicht einfach durchzuhalten. Daher haben die Wissenschaftler:innen eine Reihe von einfachen Tipps zusammengestellt, die man sofort und jederzeit ausprobieren kann:
Analog statt Smartphone: Zurück zur guten klassischen Armbanduhr, und sich morgens von einem analogen Wecker aus dem Schlaf klingeln lassen.
Am Smartphone die Nutzungszeiten erfassen und Zeitlimits setzen.
Push-Benachrichtigungen, Lesebestätigungen und Klingeltöne abschalten und so den sozialen Druck mindern. Es mag etwas Selbstüberwindung kosten, doch es lohnt sich, in den Einstellungen die Benachrichtigungen der einzelnen Apps auf dem Smartphone manuell zu deaktivieren.
Batching: Nachrichten gebündelt abarbeiten und nicht Dauer-Checken. Der Postbote kommt schließlich auch nur einmal täglich.
Im Schwarz-Weiß-Modus wirken App-Symbole und Social-Media-Inhalte weniger verlockend.
Hemmschwellen einrichten und zeitraubende Apps deinstallieren: Ein aufwendiges Entsperren oder mühsames Einloggen per Browser erschweren das ständige Checken, das zu unzähligen und ungesunden Unterbrechungen des Alltags führt. Für Fortgeschrittene: Anwendungen, die mit viel Ablenkung einhergehen, idealerweise nur vom Desktop aus und einmal am Tag nutzen.
Es gibt immer etwas zu tun! Daher Langeweile umgehen durch sinnvolle Offline-Beschäftigung.
Smartphone-freie Zonen schaffen. Zeitlich wie räumlich. Kein Smartphone im Schlafzimmer!
Eltern sollten in der Familie eine gesunde Geräte-Nutzung vorleben und über mögliche Gefahren aufklären. Jüngere Kinder langsam an elektronische Geräte heranführen und nicht sofort ein Smartphone in die Hand drücken. Für eine gute Erreichbarkeit reicht auch ein altes Handy ohne Internetzugang.
Erkennbare Vorteile einer gemäßigten Smartphone-Nutzung helfen, dass eine vorübergehende, testweise Verhaltensänderung zum gesunden, ausbalancierten Dauerzustand wird. Daher bitte beim Ausprobieren der Tipps ein wenig Geduld bewahren und die neuen Vorteile wie etwa gewonnene Zeit bewusst wahrnehmen und genießen. Das hilft, die neuen Gewohnheiten beizubehalten.
Weitere Informationen auf www.scavis.net/.