Interview mit Dr. Thomas Kroll - AM SONNTAG BIST DU TOT

Dr. Thomas Kroll über AM SONNTAG BIST DU TOT:
„Vater James ist eine bemerkenswerte Priester-Figur“
Der für seine schwarzhumorigen Werke bekannte Regisseur John Michael McDonah konfrontiert in seiner neuesten Arbeit AM SONNTAG BIST DU TOT (ab 24. März auf DVD, Blu-ray und VoD) den Gemeindepriester Vater James (brillant: Brendan Gleeson) mit seinen aufmüpfigen „Schäfchen“.

In unserem Interview erläutert Dr. Thomas Kroll, Referatsleiter im Erzbistum Hamburg, die Gemeinsamkeiten zwischen dem kauzigen Pastor und Jesus und erklärt, was sich Geistliche gefallen lassen müssen - und wo der Spaß aufhört.

Der Originaltitel des Films ist [bCALVARY, was für den Berg Golgatha steht, auf dem Jesus gekreuzigt wurde. Der Leidensweg des Priesters im Film soll Parallelen zur Passion Jesu aufweisen. Inwieweit können Sie diese Analogien sehen?]

Dr. Kroll:

Es geht hier um einen Konflikt, um einen Menschen, der für einen anderen sterben soll. Und die Frage ist: Versucht der Priester diesen Konflikt zu umgehen oder geht er ihn an? Mit seiner fulminanten Eröffnungssequenz im Beichtstuhl geht der Film direkt auf ein starkes Thema zu: Kann ein Guter Sühne leisten für einen Bösen? Und darin sehe ich durchaus eine Parallele zu Jesus. Bei Jesus gab es einen Konflikt mit den herrschenden Religionsvertretern seiner Zeit. Hier ist Vater James der Vertreter der katholischen Kirchen. Da er als Priester ihr Repräsentant ist und ihre Werte vertritt, kommt er stellvertretend in diesen Konflikt hinein. Und ähnlich wie Jesus ist er ein gewaltfreier Typ und weicht dem Konflikt nicht aus.
Bei „Am Sonntag bist du tot“ finde ich auch sehr ansprechend, dass immer wieder das eine oder andere Symbol im Hintergrund erscheint, ohne dass es sich aufdrängt. Nicht nur beim Showdown bekommen wir beispielsweise das Meer häufiger zu sehen. Das Meer als Symbol der Unendlichkeit und als Frage: Bin ich noch von etwas Größerem umgeben? Und vom Titel her natürlich der Berg, der immer im Hintergrund als Leitmotiv sichtbar ist. Dass der Regisseur mittels dieser Bilder dem Film das Thema Passion subtil einschreibt, das gefällt mir.

Sie haben die Eröffnungsszene im Beichtstuhl angesprochen, bei der ja das Thema Missbrauch aufgegriffen wird.

Dr. Kroll:

Ja, der Film geht dieses Thema verbal an und zeigt nichts, aber er schont uns auch nicht mit den abscheulichen, verbrecherischen Details, von denen dieser Mensch im Beichtstuhl erzählt. Das Thema liegt gleich auf dem Tisch, die Fakten sind gesagt. Das Opfer will keine psychologische Betreuung, aber Aufmerksamkeit, Anerkennung und wendet sich daher an Vater James. Und schließlich steht die Frage an die Zuschauerinnen und Zuschauer im Raum: Haben Sie beim Tod des Hundes im Film etwa mehr Mitleid empfunden als bei der Lektüre der Zeitung, in der über Missbrauchsfälle berichtet wird?

Wir erfahren gleich zu Beginn des Films, dass Vater James am Sonntag getötet werden soll. Er macht aber nach dieser Ankündigung keinerlei Anstalten, seine Gemeinde zu verlassen oder unterzutauchen. Ist es sein starker Glaube an Gott, der ihm sagt: Ich schaffe das, es wird mir nichts passieren?

Dr. Kroll

Das glaube ich nicht, das wäre naiv. Und das ist das Tolle in diesem Film: Er ist ein gestandener Mann, eine bemerkenswerte Priester-Figur. Solchen Menschen würde ich gerne öfter begegnen. Er weiß zu trinken, ist Familienvater, kennt sich auch in Beziehungsfragen aus, ist mit vielen Wassern gewaschen - ein klasse Typ. Ich denke schon, dass er weiß, was da auf ihn zukommt. Und das ist ja das, was man zunächst nicht versteht: In welchem Vertrauen handelt er, hält er das aus? Vermutlich in dem Vertrauen, dass Gott ihn auch im Tode nicht verlassen wird. Um es mit „Pulp Fiction“ zu sagen: Ich glaube nicht, dass Vater James denkt, dass Gott einfach mal „die Kugel ablenkt“.

Im Film kümmert sich Vater James um seine Gemeinde, was an einigen Stellen zu Unruhen führt. Er wird von vielen Gemeindemitgliedern verspottet, es wird sogar vor ihm auf ein Bild uriniert. Inwieweit darf und sollte sich die Kirche „einmischen“ und wie viel muss und darf sich ein Geistlicher in einer Position wie Vater James gefallen lassen?

Dr. Kroll

Grundsätzlich bin ich dafür, dass sich Repräsentanten der Kirche - nicht nur Priester und dergleichen, sondern auch Laien - in den Wertediskurs der heutigen Gesellschaft einmischen.
Im Sinne einer Selbstachtung muss man Grenzen ziehen. In denke nicht, dass sich ein Priester als „Loser“ oder „Opfer“ anbiedern muss. Wir dürfen aber hierbei nicht übersehen, dass der Priester in „Am Sonntag bist du tot“ in diese Konfliktsituation gerät, weil er für einen gewissen Wert steht, in diesem Fall das Beichtgeheimnis. Er plaudert nicht aus, was derjenige ihm verraten hat - so hart das auch ist. Diesen Wert verteidigt er. Aber je nachdem, wohin Priester wie Vater James kommen, werden sie nicht nur Beifall bekommen.

Generell beschäftigt sich der Film stark mit dem Werteverfall der heutigen Gesellschaft. Welche Werte sollte die Kirche Ihrer Meinung nach den Menschen besonders nahe bringen?

Dr. Kroll

Es gibt da einen Klassiker: Glaube, Liebe, Hoffnung. Glaube nicht im Sinne von Glaubensinhalt, sondern überhaupt erstmal als Glaubensakt, sprich: Vertrauen. Vertrauen ist meiner Meinung nach ein großer Wert; es ist eine Kunst, eine Haltung, an der man arbeiten kann, aber auch ein Wert, den man missbrauchen kann. Was in der katholischen Kirche ja auch passiert ist und im Film anfangs thematisiert wird. Bei Liebe denken viele zunächst an Hollywood. Wichtig ist, dass es dieses zentrale Wort auch bei Jesus gibt: Gott zu lieben und den Nächsten zu lieben wie sich selbst. Es geht um die Gottesliebe, und wer das nicht kann, soll bei der Nächstenliebe und Selbstliebe mitmachen, worunter auch Mitgefühl und Selbsterkenntnis fallen. Und Hoffnung steht für die Zukunft, nicht nur für das Hier und Jetzt oder die Vergangenheit. Für das, was kommt, einfach das Beste in anderen und für mich anzunehmen und mich tragen zu lassen.