Ein neuer Sherlock, ein neuer Watson
Die Autoren Steven Moffats und Mark Gatiss holen Sherlock Holmes mit Hilfe der Regisseure Paul McGuigan, Euros Lyn und Toby Haynes in die Londoner Gegenwart. Seit 2010 hat die BBC bereits drei Staffeln mit großem Zuschauererfolg ausgestrahlt. Jede Staffel besteht aus drei abendfüllenden 90-Minuten-Folgen. Die ARD kündigt die dritte Staffel jetzt für Pfingsten 2014 an. Über diesen britischen Beitrag zur deutschen Krimi-Kultur kann man sich gar nicht genug freuen.
Die Personen
Watson ist der Erste, den wir kennenlernen. Nicht als Zeuge erwarteter Neugierde oder Gründlichkeit, sondern als stiller Beobachter seiner Traurigkeit. Was für eine ebenso kurze wie meisterliche Einführung des traumatisierten Kriegsrückkehrers!
Sie endet in einer Einstellung, die wie ein programmatisches Gemälde im Gedächtnis bleibt: Watson, vor sich hin starrend, auf dem Bett sitzend, ein Krückstock, gegenüber an den Schreibtisch gelehnt. Scheint, als hätte Watson etwas zu lernen. Wollen doch mal sehen…
Martin Freeman als John Watson befindet sich nach der Rückkehr aus Afghanistan im Rückzug, vermeidet Kommunikation sehr konsequent auch in seiner Therapie und lässt erkennen, dass es nichts und niemanden gibt, dem er vertraut.
„Ich erlebe überhaupt nichts“, ist das Einzige, was er über sich erkennen lässt. Sein Blog bleibt - leer.
Wie es zu jemandem passt, der Kommunikation gern auf das Notwendige beschränkt, lernen wir den Protagonisten Nummer zwei zunächst per SMS kennen. Sherlock ist ein Einzelgänger (klassisch), am Tatort gilt er als „Freak“, sogar als Psychopath (sehr modern). Benedict Cumberlach dosiert Rätselhaftes und Durchschaubares exzellent, er ist immer glaubwürdig in dieser Rolle, die nur aus der Perspektive seines neuen Assistenten menschliche Qualitäten besitzt.
Sherlock erfährt alles von Watson - auch ohne Kommunikation, einfach durch Beobachten und Kombinieren. Die Geschwindigkeit ist atemberaubend. Der Film lässt uns daran teilhaben - noch unmittelbarer, als wir es von Guy Ritchies Sherlock gewohnt sind. An jedem Detail, mit kleinen Filmtricks und einer fesselnden Erzählweise. Jede Erkenntnis, die Sherlock hat, wird unmittelbar auch zu einer Erkenntnis des Zuschauers - das ist eines der Erfolgsrezepte dieser Serie. Ein unnahbares Genie, dem wir gemeinsam mit unserem neuen Freund Watson ganz nah kommen dürfen. Martin Freeman spielt ihn persönlich so überzeugend, dass wir ihn zu gern begleiten.
Die Erzählweise
Schon im ersten Teil gibt eine aberwitzige Verfolgungsjagd quer durch die Londoner Innenstadt, auf altmodische Weise packend, voller Hinweisschilder in alle Richtungen, einen Abriss dessen, was jede neue Ermittlung erwarten lässt. Illustriert wird die Jagd durch das photographische Gedächtnis Sherlocks und den dort gut verwahrten Stadtplan mit allen Querverbindungen und Dead Ends. Wie die beiden dann ein Taxi stoppen, feststellen, dass sie falsch liegen, und die Situation mit einem „Willkommen in London“ beenden - einfach cool. Wie sie ein paar Minuten später selber darüber lachen - bester britischer Humor. Überhaupt beruhen die amüsanten Momente meist darauf, dass sie mit leichter Verzögerung reflektiert werden. In einer anderen Folge am Anfang der zweiten Staffel sitzt Sherlock im Bademantel mit Watson auf einem Sofa im Buckingham Palace, weil er nicht eingesehen hat, sich für den Besuch umzuziehen. Das könnte ja so schon witzig sein. Richtig witzig wird es, als beide darüber lachen müssen. Das ist schon eine Besonderheit: Da wird en passant eine Metaebene eingeflochten, und wir lachen mit den beiden Helden. Ob der Witz nun besonders gut ist oder nicht, ist nicht entscheidend. Es ist einfach komisch.
Die Geschichten
So ist es ein Verdienst dieser Neuerzählung alter Geschichten, dass es ihr nicht um Bewunderung von Perfektion geht, sondern um die Teilnahme an ihr. Alle lernen, die ganze Zeit. Die Serie erzählt, technisch und dramaturgisch auf der Höhe der Zeit, sehr unterhaltsam, packend und humorvoll: Das ist der grandiose Teil. Für die Kriminalfälle gilt mitunter eher „viel Lärm um nichts“, denn ihre Auflösung kann mit der Perfektion der Ermittlungen nicht immer mithalten: Das ist der durchschnittliche Teil. Aber auch das ist nicht entscheidend, denn es bleibt trotzdem spannend.
Der Cliff Hanger. Am Ende der zweiten Staffel stirbt Sherlock - oder stirbt er nicht? Er stürzt sich offensichtlich vom Dach eines Hauses und liegt leblos auf der Straße. Einer, wieder, traurigen Watson begleiten wir auf den Friedhof und erfahren, was wir geahnt haben: Dass er Sherlock sein neues Leben verdankt und der Verlust übermächtig zu werden droht.
Was uns hoffen lässt: In seiner Trauer wird er beobachtet, von einem Mann im Hintergrund. Genau: Es handelt sich um Sherlock!
Wir sind mal gespannt, ob die Erklärung, die notwendigerweise am Beginn der demnächst bei polyband/WVG auch auf DVD erscheinenden dritten Staffel stehen muss, auch logisch überzeugen kann. Und wer weiß: Vielleicht werden auch die Kriminalfälle der dritten Staffel insgesamt überzeugen. Wir sind gespannt! Sehr sogar.
Sherlock - Staffel 3 erscheint am 10. Juni 2014.
Inhalt
Seit zwei Jahren ist Sherlock Holmes (Benedict Cumberbatch) nun tot. Dr. John Watson (Martin Freeman) hat sich endlich in seinem neuen Leben eingerichtet und in Mary Morstan (Amanda Abbington) die richtige Frau dafür gefunden. Einst hatte John sich gewünscht, dass Sherlock noch lebt, doch als dieser Traum jetzt auf dramatische Weise in Erfüllung geht, droht er zum Albtraum zu werden.
Ob Terroranschlag im Herzen Londons, Mord beim Hochzeitsbankett oder Erpressung im großen Stil - die spektakulären Fälle verblassen neben Sherlocks schwierigster Aufgabe: Wird er seinen Freund zurückgewinnen können?
Drei neue Fälle in Spielfilmlänge mit Dr. Watson und Sherlock Holmes!